Viva la Musica!

Wie eine aus Venezuela stammende Familie die Kinder Münchens mit dem grandiosen Orchester-Nachwuchsprojekt CONSONANZA beschenkte.

Text: Sven F. Goergens
Fotos: Hannes Magerstaedt

Dirigent Jose Jesus Olivetti (3. v.l.) leitet und betreut das Jugend-Orchester CONSONANZA mit großer Spielfreude.

Vor rund dreißig Jahren kehrte das venezolanische Ehepaar Vagnini seiner tropischen Heimat den Rücken und ließ sich mit seinen beiden Kindern in München nieder. Im Gepäck jede Menge karibischer Lebensfreude und die Liebe zur Musik. Die Nachbarn im sonst recht stillen Viertel Bogenhausen haben sich längst daran gewöhnt, dass aus der Vagnini-Wohnung mit Südbalkon bis spät in die Nacht Puccini-Arien, babylonisches Sprachgewirr der vielen Gäste aus aller Welt und der köstliche Duft von Paella mit Langostinos dringen. Tagsüber gibt Erna am Flügel im Wohnzimmer Klavierstunden, ihr Ehemann Luciano spielt auf der Bratsche oder raucht mit dem Handy in der Hand auf dem Balkon eine seiner würzigen Zigarillos.
Vor zwei Jahren, in den düsteren Monaten des Lockdowns mit Ausgangssperre und verwaisten Straßen erwies sich der unüberhörbare Vagnini-Haushalt als unverzichtbarer Trostspender und Mutmacher: Solange die Präludien Bachs noch perlen oder die mozartsche Zauberflöte jubiliert, muss sich ja auch die Welt munter weiterdrehen, einerlei ob’s dem garstigen Virus passt oder nicht.

Den Kontakt zu seinem weit verzweigten Musiker-Netzwerk in Venezuela hielt das Ehepaar stets aufrecht, trotz allem Corona-Unbill und dem sozialistischen Bankrott-Regime in der alten Heimat. Dort lernten Erna und Luciano damals am Konservatorium den Komponisten, Pianisten, Dirigenten und Universitätsprofessor Jose Antonio Abreu kennen, der Mitte der siebziger Jahre wohl das größte Nachwuchs-Orchester der Welt auf die Beine gestellt hatte.

„Armut heißt Einsamkeit, Orchester heißt Freude“

Sein Konzept „El Sistema“ sollte Kindern jeder sozialen Herkunft einen kostenlosen, spielerischen Zugang zur klassischen Musik ermöglichen. Ganz ohne instrumentale Vorkenntnisse und verbissenes Üben vor dem Notenpult. Das soziale Projekt, dass nicht unbedingt aus jedem Kind einen Virtuosen züchten wollte, richtete sich vor allem an die Hundertausenden Familien in den zahllosen „Barrios“, den Elendsquartieren. In der Gründungsphase 1975 half Abreu der Ölboom des südamerikanischen Landes. Er konnte die Regierung überzeugen, mittels großem Budget, Lehrer, Übungsräume und Instrumente bereitzustellen. Abreus schlagkräftiges Argument: „ Armut heißt Einsamkeit, Traurigkeit und Anonymität. Orchester heißt Freude, Motivation, Teamgeist, Streben nach Erfolg.“

Sein Jugend-Förderungsprojekt „El Sistema“ avancierte rasch zu einer der größten Erfolgsgeschichten der Kulturwelt. In Zusammenarbeit mit dem „Orchestra Sinfonica Juveniles e Infantiles de Venezeala“ gelang es, Millionen Kindern Hoffnung und musikalische Lebensfreude zu geben. Manche von ihnen machten später internationale Karriere, wie der Kontrabassist Edicson Ruiz, der als gewalttätiges Problem-Kind zu El Sistema stieß und mit 17 Jahren als jüngstes Ensemble-Mitglied aller Zeiten von den Berliner Philharmonikern unter Vertrag genommen wurde. Heute verfügt das Projekt mit Basis in der Hauptstadt Caracas über 400 Nebenstellen, landesweit über 1 300 Chöre und Orchester sowie insgesamt fast eine Million junge Musiker. Längst ist „El Sistema“ so prestigeträchtig, dass auch die seit Ende der neunziger Jahren das Land regierenden Sozialisten trotz Misswirtschaft und Devisenmangel das Projekt weiterhin fördern.

Auf der Suche nach Sponsoren

Jose Antonio Abreu, mit jeder Menge internationaler Musikpreise überhäuft und 1998 von der UNESO zum „Botschafter für den Frieden“ bestellt, verstarb 2018 in Caracas.  Bis zu seinem Tode allerdings unternahm der Maestro nicht nur viele Konzertreisen auch nach Europa, sondern ließ sich auch immer wieder bei der musikbegeisterten Familie Vagnini blicken, von der er wohl mit Recht hoffen konnte, seine Vision von einem freudevollen, gesellschaftliche Grenzen sprengenden Kinderorchester könnte auch in Deutschland eine Heimat finden.

Dirigent Olivetti liebt die Arbeit mit seinen Nachwuchs-Musikern. Das gemeinsame Üben soll schließlich Spaß machen.
Die Kinder vom CONSONANZA-Orchester haben den Bogen raus und dürfen neuerdings auch auf der Bühne der renommierten Isar-Philharmonie auftreten.

Es war schließlich die Vagnini-Tochter Constanza, 1984 noch in Caracas geboren, aber in München aufgewachsen, die nach ihrem Studium der Romanistik an der LMU mit Feuereifer einen Ableger von „El Sistema“ verwirklichte. 1997 gründete sie den eingetragenen Verein C.O.N SONANZA und traute sich damit eine Mammutaufgabe zu. Es galt nicht nur Mittel für Leih-Instrumente wie Celli, Violinen oder Hörner aufzutreiben, es mussten auch Übungsräume und Instrumental-Lehrer her.

Eine Förderung durchs Münchner-Kulturreferat zu erreichen, brauchte viel Überzeugungsarbeit, auch private Spender und Sponsoren wollten begeistert werden. Constanza gab trotz einiger Rückschläge im Anfangsstadium und der Lähmung des jungen Projektes durch Corona nicht auf: „Nicht nur den Kindern beim gemeinsamen Musizieren zuzuhören, sondern auch ihre Eltern aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten mit sonst wenig Berührungspunkten bei einer Aufführung zusammenzubringen, macht mich glücklich.“

Das Unterfangen gedieh: Proberäume fanden sich in einem Wohn-Projekt für Flüchtlinge im Münchner Stadtteil Berg am Laim. Das Burda-Blatt „Freundin“ berichtete 2019 umfangreich, außerdem unterstützte der Zeitschriften-Verlag dass Projekt mit dem „Tribute to Bambi“.

Organisatorisch ziehen im Hintergrund Constanzas Eltern Erna und Luciano die Fäden. Sie beraten über die musikalischen Inhalte des Instrumental-Unterrichts, der kostenfrei den Kindern und Jugendlichen (das Alterspektrum reicht von 6 bis 17 Jahre) mindestens einmal pro Woche zuteil wird und akquirieren die Lehrer.

Mit viel Geschick: junge, enthusiastische Pädagogen, unverbraucht und mit frischen Ideen kümmern sich um die mittlerweile über 30 Kinder, die C.O.N.SONANZA für den Klang von Geige, Kontrabass, Klavier, Waldhorn und natürlich das gemeinsame Musizieren begeistert.

Freude und Freundschaft

Ein wahrer Coup gelang dem Familienunternehmen Vagnini mit der Verpflichtung des charismatischen Dirigenten Jose Jesus Olivetti, der 2017 von Venezuela nach München kam und wohl auch die erste Wahl des El-Sistema-Erfinders Abreu war: Jose Jesus Olivetti ist einer unserer Hoffnungsträger im Bereich der Orchesterleitung“, lobte Abreu den heute 32-jährigen Musiker, der außerdem noch Jugendorchester in Mozambik sowie Portugal betreut und im bayerischen Welden als Kapellmeister die Violine streicht.

Wie charmant und inspirierend Olivetti seinen Zöglingen zum guten Ton verhilft, erfuhr das Redaktionsteam von „Unsere Isar“ bei einem Foto-Termin auf einer Isar-Kiesbank am Flaucher im Süden von München. Trotz frostigen Temperaturen im Vorfrühling musizierten unter freiem Himmel sieben Kinder, die Augen stets auf ihren Dirigenten geheftet, der mit einem Zweig als Taktstock „Bruder Jakob“ anstimmte, zwischendrin mit seinen Zöglingen plauderte, mitsang und ein paar Tipps zur unverkrampften Führung des Geigenbogens gab.

Bald versammelten sich oben auf der Flaucherbrücke Spaziergänger, Jogger und Gassigänger und wollten wissen, was es mit dem fröhlichen Orchester auf sich habe.  Das können natürlich am besten die Kinder selbst erklären: „Ich lerne hier sehr schnell und muss gar nicht viel üben“, sagt der elfjährige Colin an der Geige.  Und wie kam der neunjährige Nicolas zum vergnügtesten Orchester Deutschlands? „Ich wollte unbedingt das große, goldene Waldhorn spielen.“ Das tut er jetzt aus vollen Backen seit zweieinhalb Jahren. Falsche Töne unterlaufen ihm kaum noch. Obwohl es beim stress- und druckfreiem Kinder-Orchester C.O.N SONANZA ja ohnehin keine falschen Töne gibt. Dafür jede Menge guter Freunde.

Spielt mit! 
Das Förderungsprojekt C.O.N SONANZA freut sich über Mädchen und Jungs zwischen sechs und 17, die (kostenfrei und ganz ohne Vorkenntnisse) Teil des Orchesters werden wollen. Die Entscheidung, welches Instrument sich am besten für den jeweiligen Schüler eignet, trifft das Team gemeinsam mit dem Kind. Und danach kann es auch gleich mit dem Unterricht und dem Musizieren in der Gruppe losgehen.

Außerdem möchte C.O.N SONANZA gerne noch mehr erwachsene Unterstützer begrüßen dürfen: Sei es als Lehrer, Sponsor oder Instrumenten-Bereitsteller.

Schreiben Sie an: info@consonanza.org oder rufen Sie die Website auf:https://www.consonanza.org/

C.O.N. SONANZA e.V. bedankt sich beim Gasteig für die Unterstützung unserer Fotoproduktion in der Isar-Philharmonie und am Flaucher.

Sehr verbunden ist das Projekt dem House of Resources, München bei MORGEN e.V. für die Mitfinanzierung dieser stadtteilbezogenen Aktivität.

Der zehnjährige Nicolas entschied sich für Gratis-Unterricht am Waldhorn.
Die 17-jährige Hevi streicht im Orchester schon seit 2019 die Geige.
Die Münchnerin Constanza Vagnini (r.) ist Gründerin des Orchester-Projekts.
Goldjunge: Andres stieß zum Orchester bereits mit Vorkenntnissen. Aber auch Anfänger sind dort willkommen.
Nicolas bläst aus vollen Backen. Auch wenn diesmal nur der Fluss zuhört.
Arrow right icon